Von dem Wunsch anzukommen

Baden baden schreibt ein Buch.

„Es war mir ein persönliches Anliegen, meine Geschichte zu teilen“, sagt mir Hans, als wir nach der Veranstaltung über seine Entscheidung, an dem Projekt „Baden-Baden schreibt ein Buch“ teilzunehmen, sprechen.

Am 20.01.2019 stand Hans zusammen mit Sepideh, Conny, Ingeborg, Jutta, Aida, Perwin, Marija, Katalin, Khalil, Skender, Hatixhe, Midia, Almula, Jutta, Karin, und Eva auf der Bühne des Boenhoeffer Saals in Baden-Baden und teilte seine Fluchtgeschichte mit dem Publikum. Hans ist 1969 aus der DDR geflüchtet. Über Dänemark und dank der Hilfe eines fremden Dänen gelang es ihm nach Westen zu flüchten. Ohne diesen fremden Mann, der ihm seine Hilfe und seinen Schutz bat, hätte es Hans vielleicht nicht geschafft, beziehungsweise wäre möglicherweise verhaftet worden.

Seine Geschichte zu teilen schien ihm gerade heute wichtig, weil sie als Beweis gelten kann, dass Flucht kein neues oder sonderbares Phänomen ist. Seit 2015 unterstützt Hans neuankommenden Geflüchtete in Baden-Baden.

Im Rahmen von „Baden-Baden schreibt ein Buch“, einem Projekt des Arbeitskreises Stolpersteine in Baden-Baden, organisiert von Angelika Schindler, Petra Mallwitz und Ulla Hocker, werden Schreibworkshops angeboten, um Menschen mit Fluchterfahrung die Verschriftlichung ihrer Geschichte zu ermöglichen. Die Texte werden nach und nach als Feuilleton in der lokalen Zeitung, dem Badischen Tagblatt veröffentlicht, und sollen zudem als Sammelband erscheinen.

Alle Rechte: Aktionsfonds ViRaL

All ihre Fluchtgeschichten sind unterschiedlich. Jutta ist 1945 als Kind aus Pommern geflohen, Hatixhe und Katalin sind ihren Partnern nachgekommen. Midia, aus Syrien, hat den Weg von der Türkei nach Deutschland alleine geschafft und ihre Familie nachgeholt. Marija ist vor der Gewalt ihres Vaters geflohen – eine Erinnerung daran, dass nicht nur Krieg oder politische Verfolgung eine Flucht notwendig machen können. Khalil und Hans sind übers Meer geflohen – jedoch saß Hans dabei nicht in einen Schlauchboot. Jutta fühlte sich in ihrer neuen Schulklasse in Südbaden fremd. Perwin fühlte sich endlich willkommen – in der Türkei hatte sie als syrische Kurdin in keiner Schule Sicherheit gefunden und fünf Jahre lang keine besuchen können.

Aber die meisten Geschichten haben eins gemeinsam: eine gewisse Isolation. Diese Begann oft schon vor der Flucht, zuerst durch die Geheimhaltung: viele konnten von ihren Fluchtplänen niemandem erzählen – auch den Eltern nicht. Das Angekommen sein ist ein wichtiger Moment, der die Isolation jedoch nicht ganz bricht. So sagt Sepideh, dass sie sich in Baden-Baden zwar sehr wohl fühle, dass ihr die Dankbarkeit, welche sie für ihre Freiheit empfinde und welche sie möglicherweise, von den Badensern, die schon ihr ganzes Leben an diesem Ort lebten unterscheide, daran hindere, sich wirklich zugehörig zu fühlen. Ausserdem kam sie sich mit ihrer Geschichte immer sonderbar vor. Das Projekt hat die Unsichtbarkeit vieler Fluchtgeschichten und das Geheimnis um sie aufgebrochen. Sepideh sagt, sie blickt heute anders auf die ihr fremde Menschen in Baden-Baden, und auf die Stadt selbst.

Die Bühne wird mit einer Klanginstallation eröffnet. Die Künstlerin Rike Scheffler hat für das sechs-minütige Stück „Von dem Wunsch anzukommen“, Zitate der Autor*innen und Musik zu einem 3-dimensionalen Klangwerk geschnitten. Hier können Sie es nachhören.

Circa 300 Menschen kamen am 20.01 zu einer der zwei Lesungen. Viel mehr Menschen dürften, dank der Veröffentlichung der Beiträge in der Zeitung, die Geschichten der Autor*innen kennengelernt haben. Das Projekt geht weiter mit der Arbeit an dem Buch selbst, vielleicht auch darüber hinaus. Khalil Khalil skizziert eine Auseinandersetzung mit Sprache vor – Begriffe wie „Flüchtlingswelle“ oder überhaupt „Flüchtlinge“ würde er gerne kritisch untersuchen.

Nicht alle Autor*innen konnten am 20.01 auf der Bühne stehen. Manche waren ganz einfach aus gesundheitlichen Gründen verhindert, doch Andere fühlten sich in Baden-Baden noch immer nicht sicher genug und sahen sich nicht als angekommen an. Sie fürchteten zum Teil einen negativen Einfluss auf ihre noch offenen Asylverfahren.

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Autorin: Lucile G.